Genetik und Einsichtsethik

Zum wesentlichen Unterschied einer Wissenschaft und Praxis des anorganischen und organischen Bereichs

Lukas & Michael Rist

Johannes-Kreyenbühl-Akademie, Reinach, Switzerland

Einleitung

Anknüpfend an die interessanten Ausführungen von Frau Ilse Démarest-Oelschläger und Frau Lore Degeller im "Goetheanum" Nr. 47, 1996/97, soll versucht werden, eine Alternative zur bisherigen materialistisch-reduktionistischen Gentheorie zu skizzieren, die sowohl im Einklang steht mit der Erkenntniswissenschaft Rudolf Steiners als auch mit den durch die modernen molekularbiologischen Experimente zutage geförderten Fakten. Der Weg aus der kausal vorgestellten Biologie zu einem geistgemässen Verständnis der Natur gipfelt letztlich in der Beantwortung der durch die Genmanipulation neu akut gewordenen Frage: Was ist Leben?

Erkenntniswissenschaftliche Grundlagen

Seit den erkenntniswissenschaftlichen Werken Rudolf Steiners (1886),(1892),(1893) und dessen Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften (1884-97), ist eigentlich eindeutig und für jeden nachvollziehbar klargelegt, dass die menschliche Erkenntnis auf der adäquaten Begriffsbildung durch eigenaktives Denken gegenüber der zunächst fragwürdigen Welt der Wahrnehmungen besteht. Die Begriffsbildung stellt dabei ein Begriffsangebot gegenüber der Begriffsnachfrage der fragwürdigen Wahrnehmung dar. Im Experiment wird festgestellt, ob sich Begriffsangebot (Hypothese) und Begriffsnachfrage (Fragestellung) decken. Dies ist der Fall, wenn sich Verhaltenserwartungen, die sich rein logisch aus dem Begriffsangebot ergeben, mit dem beobachteten Verhalten des in Frage stehenden Bereiches übereinstimmen. Die Begriffe haben gegenüber den Welterscheinungen immer Gattungscharakter, weshalb man sie früher auch als Universalien bezeichnete. Bei der Übereinstimmung von Begriffsangebot und Begriffsnachfrage werden die Begriffe zu Vorstellungen individualisiert, und die zunächst fragwürdigen Welterscheinungen werden aus ihrer Zusammenhangslosigkeit befreit, indem sie durch die Begriffe wieder in den Weltzusammenhang eingegliedert werden und dadurch die reinen Wahrnehmungen erst zur Realität werden. Die Weltrealität ist also die begrifflich oder geistig durchdrungene Welt der Erscheinung (Witzenmann, 1977/78). Es gibt demzufolge in der Realität keine geistlose Stofflichkeit, wohl aber eine stofflose Geistigkeit in Form des Denkens. In der Scholastik unterschied man deshalb bei den Begriffen oder Universalien den Zustand ante rem (vor der Durchdringung der Stofflichkeit), in re (bei der Durchdringung der Stofflichkeit) und post rem (nach der Durchdringung der Stofflichkeit). Der Ingenieur kennt diesen Zustand der Universalien, seiner Erfindungen ante rem, in re und post rem sehr gut: als ante rem als noch nicht realisierte Erfindung, in re als funktionierende Konstruktion und post rem als Wissen.

Eigenaktives Wesen und Kausalität

Aus dieser Einsicht folgt nun weiter, dass für eigenaktive Wesen - wie auch beim Menschen im Erkennen und Handeln - die äusseren Gegebenheiten nicht die Ursachen für die Ergebnisse dieser Eigenaktivität sind, sondern die mehr oder weniger günstigen Bedingungen darstellen, unter denen das eigenaktive Wesen diese Ergebnisse erzielt. So wird niemand aufgrund der eigenen Beobachtung des Erkenntisprozesses zu der Auffassung kommen, die Fragwürdigkeit der Sinneswahrnehmung sei die Ursache für die Einsicht. Nur wenn man den Erkenntnisprozess als passives Kausalgeschehen vorstellt, an dem man völlig unbeteiligt ist, könnte man zu einer solchen Annahme gelangen, was aber mit der Beobachtung der ichhaften denkerischen Eigenaktivität beim Erkennen nicht übereinstimmt. Daraus folgt nun weiter, dass physische Kausalität, das Prinzip von äusserer Ursache und Wirkung, immer voraussetzt, dass die in Betracht kommenden Faktoren keine Eigenaktivität aufweisen, also an sich passiv sind, was für den unbelebten Bereich auch tatsächlich zutrifft (Rist, M., 1985).

über den Unterschied zwischen Erscheinungen der anorganischen und organischen Natur führt Rudolf Steiner in den erwähnten Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften aus: "Eine Erscheinung der ersten Art ist z.B. der Stoss zweier elastischer Kugeln aufeinander (...) Handelt es sich darum eine solche Erscheinung zu begreifen, so kann dies nur dadurch erreicht werden, dass wir das, was unmittelbar für die Sinne da ist, in Begriffe verwandeln. Es muss uns dies in dem Masse gelingen, dass nichts Sinnenfällig- Wirkliches bleibt, welches wir nicht begrifflich durchdrungen hätten. Wir sehen die eine Kugel ankommen, an die andere stossen, letztere sich weiterbewegen. Wir haben diese Erscheinung begriffen, wenn wir aus Masse, Richtung und Geschwindigkeit der ersten und der Masse der anderen die Geschwindigkeit und Richtung von letzterer angeben können; wenn wir einsehen können, dass unter den gegebenen Verhältnissen jene Erscheinung mit Notwendigkeit eintreten müsse. Das letztere heisst aber nichts anderes, als: es muss dasjenige, was sich unseren Sinnen darbietet, als eine notwendige Folge dessen erscheinen, was wir ideell vorauszusetzen haben. Ist das letztere der Fall, so können wir sagen, dass sich Begriff und Erscheinung decken. Es ist nichts im Begriff , was nicht auch in der Erscheinung wäre und nichts in der Erscheinung, was nicht auch im Begriff wäre (...)"

Der Unterschied zu den belebten Gegebenheiten wie z.B. den Pflanzen und Tieren besteht nun darin, dass in dem ständigen Stoffwechsel und Gestaltwandel sowie dem Verhalten die Eigenaktivität der Pflanzen- und Tierarten zum Ausdruck kommt. Es ist ja auch bezeichnend, dass die Art während der Entwicklung des Organismus die gleiche bleibt, während sich die stoffliche Zusammensetzung dauernd verändert. Daher ist der moderne Genetiker auch gezwungen, vom genetischen "Programm" zu sprechen, da er doch irgend eine Konstanz haben muss und sie in den Stoffen nicht finden kann. R. Steiner (1884-97) drückt dies so aus: "Man kann z.B. von der Pflanze nicht sagen, dass Grösse, Form, Lage usw. der Wurzel die sinnlich-wahrnehmbaren Verhältnisse am Blatt oder an der Blüte bedingen. Ein Körper bei dem dies der Fall wäre, wäre nicht ein Organismus, sondern eine Maschine. Man muss vielmehr zugestehen, dass alle sinnlichen Verhältnisse an einem lebenden Wesen nicht als Folge von anderen sinnlich-wahrnehmbaren Verhältnissen erscheinen, wie dies bei der unorganischen Natur der Fall ist. Alle sinnlichen Qualitäten erscheinen hier vielmehr als Folge eines solchen, welches nicht mehr sinnlich wahrnehmbar ist. Sie erscheinen als Folge einer über den sinnlichen Vorgängen schwebenden höheren Einheit (...) wir müssen über die Sinnenwelt hinausgehen. Es genügt die Anschauung nicht mehr, wir müssen die Einheit begrifflich erfassen, wenn wir die Erscheinung erklären wollen." Diese höhere ideelle Einheit aus der alle Tier- und Pflanzenarten entstammen wurde von Goethe mit Typus bezeichnet, den R. Steiner (1886) so beschreibt: "Der Typus ist der wahre Urorganismus; je nachdem er sich ideell spezialisiert: Urpflanze oder Urtier. Kein einzelnes, sinnlich-wirkliches Lebewesen kann es sein."

Diese ideelle Differenzierung des Urorganismus beruht deutlich auf zwei Bildetendenzen: In den Pflanzen haben wir Organismen vor uns, die sich sowohl morpholgisch als auch funktionell, ausgehend vom Samen über den Keimling, die grünen Blätter bis hin zur Blüte gegenüber der Umwelt immer weiter öffnen, ja im Blütenstaub sich in diese verlieren. In der Befruchtung wird dieses Verlieren ins Weltensein umgewendet und in die Frucht- und Samenbildung wieder zu einer geschlossenen Form des Eigensein zurückgeführt. Die gegenteilige Bildetendenz herrscht bei den tierischen Organismen vor. Sie schliessen sich morphologisch mit ihrer Haut (Fell, Federn, Panzer etc.) zunehmend gegen die Aussenwelt ab und betonen so ihr Eigensein (Rist, M., 1993). Damit sind natürlich zunächst nur die prinzipiellen Tendenzen angegeben, die endgültige Gestalt hängt dann noch von zweierlei ab:

1) wie sich das Welten- bzw. Eigensein zu bestimmten Pflanzen- bzw. Tierarten metamorphisiert, spezialisiert: "Der Typus, d.i. die sich im Organismus offenbarende Gesetzlichkeit, das Tier-Sein im Tiere, das sich aus sich herausbildende Leben, das Kraft und Fähigkeit hat, sich durch die in ihm liegenden Möglichkeiten in mannigfaltigen, äusseren Gestalten (Arten, Gattungen) zu entwickeln" (Steiner, R., 1884-97).

2) wie die äusseren Bedingungen gestaltet sind, unter denen diese Individualisierungen des Typus stattfinden.

Es sind also nicht die äusseren Gegebenheiten, die den Organismus aufbauen, sondern diese können nur günstige oder ungünstige Bedingungen darstellen. Was physisch in Erscheinung tritt sind also immer nur bestimmte Metamorphosen, Individualisierungen von bestimmte Arten, die sich auch aus dem Typus entwickeln. Die Arten an sich sind natürlich auch nicht sinnlich-wahrnehmbar, sondern nur deren Repräsentaten in Form individueller Organismen, die unter verschiedenen Bedingungen nicht genau gleich, aber da der gleichen Art angehörend, ähnlich sind. "Da der Organismus aber nicht nur seinen Bildungsgesetzen, sondern auch den Bedingungen der Aussenwelt unterworfen ist, nicht nur so ist, wie er dem Wesen des aus sich selbst bestimmenden entelechischen Prinzips gemäss sein sollte, sondern so, wie er von anderem abhängig, beeinflusst ist, so erscheint er gleichsam sich selbst nie ganz angemessen, nie bloss seiner eigenen Wesenheit gehorchend. Da tritt nun die menschliche Vernunft ein und bildet sich in der Idee einen Organismus, der nicht den Einflüssen der Aussenwelt gemäss, sondern nur jenem Prinzip entsprechend ist." (Steiner, R., 1884-97).

Damit ist also gezeigt, dass die Arten geistig-seelische Wesenheiten sind, die im geistigen Kosmos wurzelnd in die irdischen Vorgänge eingreifen. Dass eine Tier- oder Pflanzenart nicht ein abstrakter Begriff oder gar nur ein subjektives Ordnungsschema ist, sondern eine seelisch-geistige Potenz darstellt, kann auch mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Wir wissen ja alle, dass seelisch-geistige Zustände Auswirkungen auf unsere Körperfunktionen haben, beispielsweise wenn wir erröten oder vor Aufregung zittern bzw. wenn der Adrenalingehalt bei starker Erregung steigt. Die Vermittlung dieser seelischen Zustände zur Physiologie geschieht durch die Hormone, die dann vermehrt gebildet und ausgeschüttet werden. Dies wurde auch experimentell bei Jungbullen gezeigt, bei denen je nach seelischem Erregungzustand der Adrenalingehalt im Blut ein signifikant unterschiedlicher ist (Unselm et al., 1978). Die Hormonproduktion ist also die Folge des seelischen Zustandes und nicht umgekehrt. Die Hormone, die in verschiedenen Organen (Leber, Niere etc.) gebildet werden, stellen also die Bedingung dafür dar, dass unsere seelisch-geistigen Zustände auf den Körper wirken können. Deshalb bezeichnet man sie auch als Botenstoffe oder eben Informationsträger. Interessanterweise können nun bestimmte Hormone auch einen Einfluss auf die Gene ausüben und regulierend in das genetische Geschehen eingreifen (Wehner & Gehring 1990). Es fliesst also Information nicht nur von der DNA zum Protein, sondern auch von der immateriellen, seelisch- geistigen Potenz der Art zum Hormon und dann zur DNA. Deshalb kann man die eingangs aufgeworfene Frage, was Leben sei, so beantworten: Leben ist die eigenaktive Interaktion der jeweiligen Pflanzen- oder Tierart bzw. der menschlichen Individualität mit den waltenden Umweltbedingungen.

Die geistgemässe Genanschauung besteht nun darin, nicht in inadäquater Vorstellung zu meinen, die genetische Substanz würde in physisch-kausaler Weise den Organismus aufbauen, vielmehr beruht sie darauf, einzusehen, dass die Pflanzen- und Tierarten den Organismus in Eigenaktivität aufbauen. Die genetische Substanz ist dann nicht mehr die stoffliche Ursache, sondern die "innere" stoffliche Bedingung, unter der die Art den Organismus aufbaut. Die genetische Substanz ist dann die Bedingung, unter welcher die Omnipotenz der Art sich zu einer speziellen Erscheinungsform individualisiert, die der der Vorfahren ähnlich ist, von denen die genetische Substanz stammt. Dass aus der Paarung einer Fleckviehkuh mit einem Fleckviehbullen wieder ein Fleckviehkalb hervorgeht, dafür ist die genetische Substanz die Bedingung. Dass überhaupt ein Rinderorganismus entsteht, dafür ist nicht die genetische Substanz zuständig, sondern der Aufbau des Rinderorganismus erfolgt durch die seelisch-geistige "Information" der Rinderart.

Bei unbefangener Betrachtung der Ergebnisse sogenannten Gentechnik oder Gentechnologie ist zunächst festzustellen, dass sie diesen Namen überhaupt noch nicht verdient, da zum einen viele Experimente gar nicht "gelingen", d.h. keine Bestätigung der materialistischen Theorie liefern (Goodwin, B.C., 1984, Holliday, R., 1988, Heusser, P., 1989, Reiber, H., 1995, Strohman R.C. 1997), bzw. wenn sie "gelingen", Missbildungen hervorrufen oder unerwartete Ergebnisse produzieren. Es handelt sich also um keine ausgereifte "Technik", sondern um ein interessantes Feld wissenschaftlicher Forschung. Hinzu kommt, dass über viele Experimente, die nach der gängigen Theorie nicht gelingen, gar nicht berichtet wird (Fox, 1991). Hätte eine Maschinentechnologie einen ähnlich unsicheren Ausgang, so würde sich wohl kaum jemand in ein Flugzeug oder in einen Zug setzen.

Am meisten Verbreitung hat die Genmanipulation bei Bakterien gefunden, wobei J. Wirz (1995) darauf hinweist, dass dies deshalb so ist, weil sich Bakterien in Millionenzahl leicht züchten und die wenigen gewünschten Exemplare gut isolieren und anschliessend wieder vermehren lassen. Auch ist bemerkenswert, dass Bakterien schon von sich aus eine "natürliche" Tendenz zum Genaustausch haben. In Bakterien lassen sich ferner Gene von höher entwickelten Organismen einfügen, aber selbst dann ist der Ausgang nicht immer gewiss, wie das Beispiel des Escherichia coli Bakteriums zeigte, dem ein Fremdgen für die Oxidation von Naphtalen zu Salicylsäure eingesetzt wurde und das daraufhin unerwarteterweise den Farbstoff Indigo bildete (Ensley et al., 1983). Darüber hinaus muss man bedenken, dass bei Prokaryonten (Organismen ohne echten Zellkern), zu denen die Bakterien gehören, stets das gesamte Gen exprimiert wird, während bei den Eukaryonten (Organismen mit echtem Zellkern), zu denen die allermeisten Pflanzen und alle Tiere gehören, auch nur ein Teil davon exprimiert werden kann. Hier ist also schon eine funktionelle Differenzierung zwischen den einfacheren und höherentwickelten Arten selbst auf molekularem Niveau erkennbar.

Es kann auch vorkommen, dass einige DNA-Sequenzen mehr als ein Protein kodieren oder dass Gene überlappen können. Durch alternatives Spleissen (Lewin, 1991) können aus der gleichen Sequenz von Nukleinsäuren verschiedene Proteine entstehen. Die höherentwickelten Arten sind weniger fähig, sich den unterschiedlichen Umweltbedingungen anzupassen, im Gegensatz zu den universelleren Organismen, die sich unter verschiedenen Bedingungen zur Erscheinung bringen können und deshalb - vom Experimentator aus gesehen - besser manipulieren lassen.

Wenn man von den Bakterien zu höher entwickelten Organismen übergeht, so wird deutlich, dass gentechnische Experimente am ehesten bei Pflanzen gelingen, die nahe miteinander verwandt sind (Potrykus, 1991). Aber auch hier sind die Grenzen wiederum eng gesetzt, wie das Beispiel der "Tomoffel", einer Protoplastenkreuzung zwischen den beiden Nachtschattengewächsen Tomate und Kartoffel zeigte. Obwohl es zum Wachstum kam, führte dies weder zu einer essbaren Kartoffel noch zu einer essbaren Tomate. Die beiden Arten konnten also noch in das genetische Material eingreifen, aber störten sich gegenseitig in ihren arteigenen Bildetendenzen, nämlich die Assimilate in den Früchte- bzw. in den Wurzelbereich zu leiten. Zudem muss beachtet werden, dass sehr viele eingeführte Transgene in Pflanzen schon bald gar nicht mehr exprimiert werden, sondern durch eine molekulare Reaktion (Methylierung) inaktiviert werden (Meyer, 1996). Man bezeichnet dieses Phänomen als "gene-silencing", was so verstanden werden kann, dass das betreffende Transgen eine ungünstige Bedingung für die Pflanzenart darstellt und von ihr stillgelegt werden kann.

Auch ist eine stabile Expression eines solchen Transgens schwierig zu erreichen, vor allem dann, wenn die Umweltbedingungen stark variieren. So zeigten im Freilandversuch Petunien, denen ein sog. Farbgen von Mais eingebaut wurde, anfänglich die gewünschte Färbung, bei eintretender Hitzeperiode - also veränderten Umweltbedingungen - verloren sie diese wieder, d.h. das Gen wurde inaktiviert (Linn, 1990). Auch traten sog. "pleiotrope Effekte" auf, es wurden also auch ganz andere Merkmale als die Pigmentierung betroffen. So hatten die transgenen Petunien mehr Blätter und Triebe pro Pflanze und waren gegenüber pathogenen Pilzen resistenter. Sie zeigten eine höhere Vitalität und eine geringere Fruchtbarkeit als die unmanipulierten Petunien (Meyer, 1995). Durch die Hitzeperiode wurde die Vitalität der transgenen Petunien zurückgedrängt, und sie verloren auch die Rotfärbung wieder. Daran kann deutlich werden, wie die Petunienart auch in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen besser oder schlechter in ihr Erbgut eingreifen kann.

Auf grosse Schwierigkeiten stösst die Genmanipulation vor allem bei Säugetieren. So wird bei den sog. knock-out Experimenten an Mäusen, bei denen ein Gen auf molekularem Wege gezielt ausgeschaltet werden soll, von ungefähr einer Million behandelter Zellen nur eine mit dem gewünschtem Effekt gefunden (Capecci, 1994). Bei der "Herstellung" transgener Tiere fällt der enorm hohe "Embryonenverbrauch" auf. Bei einem dreijährigen Grossversuch mit Schweinen entwickelten sich nur 8% der 7000 manipulierten Eizellen bis zur Geburt, und von diesen 8% hatten etwa 7% das fremde Gen tatsächlich eingebaut. Das ergibt eine Erfolgsquote von rund 0.6% (Pursel et al., 1989). Weiter ist noch anzufügen, dass bei den Tieren, die das Fremdgen dann tatsächlich auch besassen, der Effekt desselben in den allermeisten Fällen in Missbildungen oder Funktionsstörungen bestand. So wuchsen bei obenerwähntem Versuch die Schweine zwar schneller, auf längere Sicht aber war dies der Gesundheit der Tiere abträglich, da sie sehr stark zu gastrischen Geschwüren, Arthritis, Cardiomegalie, Dermatitis und Nierenkrankheiten neigten (Pursel et al., 1989). Durch diesen Eingriff waren also die Bedingungen für die Schweineart so ungünstig geworden, dass sie ihren Organismus nur mehr ungenügend gestalten konnte. Durch das aufgezwungenes Wachstum konnten die Organe nicht mehr harmonisch ausgebildet werden, worunter z. B. die Knorpelfestigkeit litt. Das Wachstumshormon-Gen wurde also - in der Sprache der Genetik ausgedrückt - zum "Arthritis-Gen".

Durch die oben erwähnten knock-out-Experimente erhoffte man, Aufschluss über die Funktion des ausgeschalteten Gens im Organismus zu erhalten. Zum grossen Erstaunen der Experten war aber eine grosse Zahl dieser Experimente ohne jede sichtliche Folge für den Organismus, oder es wurden ganz andere Merkmale, als von der theoretischen Analyse her erwartet, betroffen (Tautz, 1992; Brookfield, 1992). Wenn nun aber die Art in der Lage ist, ohne das vermeintlich dafür verantwortliche Gen einen vollständigen Organismus zu bilden, so heisst das ja nur, dass die Gene nicht die Ursache für das Enstehen desselben sein können, sonder eben nur eine mehr oder weniger günstige Bedingung darstellen, die in einigen Fällen sogar ganz fehlen kann.

Folgen für die Züchtung

An diesen Beispielen wird klar, dass die Art in ihrer geistig-seelischen Potenz aus dem Unräumlichen und Unzeitlichen immer und überall in den Organismus eingreift. Sie kann dies umso besser, je günstiger die vorliegenden Bedingungen sind (RIST, L., 1997).

Es lassen sich drei Bedingungsbereiche unterscheiden. Zu den terrestrischen Bedingungen gehören die äusseren Umwelteinflüsse (Wärme, Licht, Feuchtigkeit, Bodenbeschaffenheit etc. bei den Pflanzen und Haltung und Fütterung etc. bei den Tieren). Zu den kosmischen Bedingungen gehören der Stand von Sonne, Mond und Planeten zueinander und zum Fixsternhimmel (Steiner, R., 1924). Dies wurde auch experimentell mehrfach nachgewiesen (Spiess, H., 1990, Zürcher, E., 1992, Thun, M., 1993 ). Der dritte Bedingungsbereich umfasst die genetischen Bedingungen. Sie stammen von den Vorfahren und stellen mehr oder weniger günstige innere Voraussetzungen für die Arten dar, um die Organismen den Intentionen der Art gemäss zu entwickeln. Der praktische Züchter ist ja auch bestrebt, die günstigsten äusseren Bedingungen mit der günstigsten Erbsubstanz (innere Bedingung) zusammenzubringen. Durch die optimale Gestaltung aller Bedingungen wird es dann auch der Art - über mehrere Generationen (Steiner, R., 1924) - möglich, ihre genetische Substanz optimal auszugestalten. In der konventionellen Züchtung wird dies auch immer so durchgeführt, dass neben der Selektion immer auch optimale Lebensbedingungen für das bestimmte Zuchtziel zur Verfügung gestellt werden allerdings mit der Begründung, dass die genetische Veranlagung auch in Erscheinung treten könne. Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob die erzielten Eigenschaften durch zufällige Mutation und/oder durch die über Generationen zur Verfügung gestellten Lebensbedingungen entstehen, zumal Zufäligkeit keine wissenschaftliche Erklärung ist, sondern verschleiernd eingesteht, dass man die Ursachen, Bedingungen oder Eigenaktivitäten nicht kennt, die zu den in Frage stehenden Erscheinungen führen.

Nun könnte man annehmen, dass durch einen genmanipulatorischen Eingriff in die Erbsubstanz diese ebenfalls verbessert werden könnte. Dazu ist aber zu bedenken, dass auch bei einer Optimierung der Umweltverhältnissen bzw. der Haltungsbedingungen die Art nicht gezwungen wird, etwas Bestimmtes zu tun, sondern man lässt ihr die Möglichkeit, das zu tun, was ihr entspricht. Da die Art unter artgemäss optimalen terrestrischen und kosmischen Bedingungen den Gesamtorganismus - zu dem auch die Erbsubstanz gehört - optimal artgemäss ausgestaltet, wird auch letztere über die Generationenfolge (unter optimalen Entwicklungsbedingungen) immer artgemässer. Auf dieser Weise werden durch Optimierung der Umweltbedingungen auch die genetischen Bedingungen immer optimaler, immer artgemässer. Weiss doch die Art selbst am besten, was die für sie optimale genetische Substanz ist, um den arteigenen Intentionen gerecht zu werden.

Von der Erkenntnis zur Einsichtsethik im Lebendigen

Diese Verkörperungsbedingungen können, wie im vorangehenden gezeigt wurde (allerdings infolge des zur Verfügung stehenden Raumes nicht in der für manche wünschbaren Breite), in drei Bereiche gegliedert werden: die terrestrischen, die kosmischen und die genetischen. Dabei sind die genetischen Bedingungen, weil die genetische Substanz selbst im sich entfaltenden Organismus (Matile, 1973) und seiner Generationenfolge gebildet und gefestigt wird, auch von den terrestrischen und kosmischen Lebensbedingungen abhängig. Als die Alternative zu den relativ groben Eingriffen der Gentechnologie in die Erbsubstanz ergibt sich für den in biologischen Begriffen denkenden Forscher die Optimierung der terrestrischen und kosmischen Bedingungen, d.h. dass für gewisse Aktivitäten (z.B. Aussaat, Konzeption etc.) auch bestimmte kosmische Konstellationen zu wählen sind.

Unsere Aufgabe als Menschen bei diesem Geschehen liegt also nicht darin, gewaltsam den Arten unsere eigenen entarteten Intentionen aufzuzwingen, sondern im Optimieren der Bedingungen, auf dass sich die Art frei von ungünstigen Bedingungen entwickeln kann. Dies ist ja auch das Ziel eines artgemässen Pflanzenbaus und einer artgemässen Tierhaltung, wie sie in einer biologisch-dynamischen Landwirtschaft angestrebt und praktiziert werden. Dass damit die Nahrungsqualität der betroffenen Pflanzen- und Tierarten nicht schlechter, sondern besser wird, ist ebenfalls schon experimentell gezeigt worden (Balzer-Graf, U., 1995).

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich die Einsichtsethik, dass es die Aufgabe des die Pflanzen und Tiere verstehenden Menschen ist, für diese die optimalen Inkorporationsbedingungen zu schaffen. Eine optimale Produktqualität z.B. an Milch, Gemüse, Getreide, Heilpflanzensubstanz etc. entsteht auf diese Weise als eine Gegengabe von Tier und Pflanze an den pflegenden Menschen. Die praktische Landwirtschaft wird damit zur Kunst, optimale Lebensbedingungen für Pflanze, Tier und Mensch zu schaffen.

        Literatur

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