Sammler und Jäger in einer virtuellen Welt

Johannes Wirz, 18.07.00

Unter dem Beifall des US-Präsidenten Clinton ist die Entschlüsselung des menschlichen Genoms als Milleniumserfolg gefeiert worden. Abgesehen von der technischen Leistung, in kurzer Zeit die ca. drei Milliarden Bausteine der menschlichen Erbsubstanz zu dekodieren, ist die Euphorie über diesen Erfolg für den Laien nicht nachvollziehbar. Die „unendliche" Reihenfolge von A, G, T und C, den chemischen Bausteinen der DNS, sind eher als Datenschrott denn als Information zu bezeichnen. Der „heilige Gral der Biologie", wie das menschliche Genom anfänglich genannt wurde, ist heute bescheiden zum „Text einer noch kaum bekannten Sprache" mutiert. Trotzdem hat es seine mystische Verklärung bewahrt. Das Genom birgt als genetisches Programm für viele Experten nach wie vor das Geheimnis des Wesens des Menschen, seiner Vergangenheit und seiner Zukunft, eine kritische Sicht auf diese Interpretation fehlt weitgehend.

Gleichzeitig zeigt das wissenschaftliche Phantom einer Reduktion alles Lebendigen auf Genetik grosse Konsequenzen für den Lebensalltag. Aktienkurse von Biotech Unternehmen, die sich auf „Genomics" spezialisieren steigen in schwindelnde Höhen. Diese Technologie ist erst wenige Jahre alt und sucht nicht mehr nach einzelnen Erbfaktoren für bestimmte Merkmale, sondern erfasst alle Gene, die in Organen aktiviert oder an bestimmten Entwicklungsprozessen beteiligt sind. Damit wird die Suche nach Substanzen, welche die Aktivität dieser Gene verändern, beeinflussen und damit eventuell in Therapie oder Pflanzenbau und Tierzucht eingesetzt werden können, massiv erleichtert.

Aus dieser Forschungsrichtung werden auch Projekte entstehen, die das Verständnis von Leben radikal verändern: „Das ultimative Ziel ist die virtuelle Pflanze, die man auf dem Computerbildschirm wachsen lassen, deren Wachstum man in jedem Stadium der Entwicklung mit einem Mausklick stoppen und in deren Organen und Zellen man unter allen Umgebungsbedingungen die aktivierten Gene erkennen kann", so lautet die Beschreibung eines pflanzengenetischen Projektes.

Mit dieser Vision wird die Pflanze – eine Karikatur der Urpflanze Goethes - vollständig von Kosmos und Erde abgekoppelt und zum reinen Mechanismus in einer Welt ohne erlebbare Sinnesqualitäten - ohne Sonne, Wärme, Regen oder den Duft des Bodens – der ideale Ort für grenzenlose Eingriffe!

Man muss davon ausgehen, dass diesem Konzept die Realisierung in der Praxis umgehend folgt. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine der Zukunftsaufgaben der biologisch-dynamischen Landwirtschaft darin bestehen wird, nachvollziehbar zu kommunizieren, was R. Steiner bereits in Koberwitz angemahnt hat, dass „am Pflanzenwachstum der ganze Himmel mit seinen Sternen beteiligt ist".

johannes.wirz@goetheanum.ch

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